Donnerstag, 14. Januar 2016

Was sind philosophische Essays?

[Ein Essay über philosophische Essays aus einem neuen Publikationsprojekt]

Sprache philosophisch zu thematisieren, lässt gleich zu Beginn einige Fragen aufkommen, die nicht leicht beantwortbar sind. Dazu gehört eine Einschätzung der anvisierten Tätigkeit: Einen philosophischen Essay zu verfassen, sich also innerhalb einer literarischen Gattung zu betätigen - mit Worten ‚Literatur‘ beziehe ich auch wissenschaftliche und philosophische Texte ein -, wird zwar der Sache nach betrieben, bleibt thematisch aber relativ häufig außen vor. Zwar ist ein Anlegen von Literaturverzeichnissen auch in wissenschaftlichen und philosophischen Kontexten üblich, in Fließtexten wurde und wird ‚Literatur‘ nicht selten mit ‚Fiktion‘ oder ‚Belletristik‘ gleichgesetzt. Diese verlautete Synonomie kann Leser nicht nur zu einem Staunen veranlassen, sondern wäre auch logisch widersprüchlich.
Sähe man von der legitimen Möglichkeit ab, einen philosophischen Essay zu verfassen, bliebe z.B. die Hinwendung zu einer sprachlichen Bürokratie. An den Universitäten kursieren Leitfäden zum Verfassen von Essays, die jedoch - wie an der Universität München -, nicht als Veröffentlichung kenntlich gemacht wurden, aus denen sich zitieren ließe, obgleich sie öffentlich im Internet zugänglich sind. Diese Leitfäden präsentieren in der Regel reihenweise Normen und genormte Standards, die aufgrund ihrer formellen Gestaltung und psychologischen Orientierung kaum etwas Relevantes in Bezug auf essayistische Sprache aussagen.
Zu beachten ist: die Leitfäden richten sich an Studierende, denen Wissenschaften und Philosophie noch relativ fremd sind. Mit einer allgemeinen Forderung nach Transparenz wird ihnen z.B. ein durchaus trübes Bild präsentiert, das fraglich werden lassen kann, ob es sich überhaupt auf Sprache bezieht, zumal auf eine wissenschaftliche oder philosophische. Die Forderung nach einer Nachvollziehbarkeit, obgleich sie sich kontextual auf Texte zu beziehen scheint, ist zentral auf eine psychische Disposition von möglichen Lesern, vermutlich primär von Dozenten gerichtet. Die sprachliche Relevanz bleibt ebenfalls undeutlich.
Selbstverständlich bedürfen solche Normen der Erläuterung. Die Richtlinien dienen einem präferierten formalen Aufbau und Menschen, die entweder keine Zeit zum Lesen haben, oder beim Lesen leicht in Schwierigkeiten geraten können. Mit Sprache haben die niedergeschriebenen bürokratischen Präferenzen wenig zu tun, nichts mit einer ethischen Alternative, der Entfaltung von Möglichkeiten, empirischen als auch logischen. Voraussetzung zu einer angemesseneren Lehre wären allerdings Kenntnisse, die von Studierenden entweder erst zu erwerben wären, sprachliche, logische, eventuell auch ethische, oder in diesem Kontext zu thematisieren wären. Solange solche Kenntnisse nicht vorliegen, können ohnehin nur umgangssprachliche Resultate erwartet werden, gleichgültig in welcher Form.
Sprachlich relevant, um ein Beispiel zu geben, sind in den Wissenschaften seit der Bologna-Reform vor allem verlautete Definitionen. Doch angegeben wird nicht selten eine Bedeutung, für die Bezüge und Probleme mit diesen relativ gleichgültig sind. Ein Wort ‚Kultur‘ wissenschaftlich alles bedeuten zu lassen, was von Menschen weitergegeben wurde und wird, wie es an nordrheinwestfälischen Universitäten, speziell im Ruhrgebiet erfolgte, lässt zwar einen typisch bürokratischen Formalismus erkennen, doch nicht nur werden dadurch Differenzierungen schwer, auch Auschwitz gehörte zur Kultur, könnte sogar zu einer Kulturinstitution werden, eine Weitergabe von Errungenschaften findet auch unter anderen Tieren statt, ob unter Walen oder Primaten. Sie ist keineswegs für spezielle Primaten, für Menschen spezifisch.
Es mag sein, dass sich in der formellen Weise ein Themenbereich erweitern und umreißen lässt, der nach Möglichkeit in die eigene Zuständigkeit fällt, sachlich wäre diese Bereicherung jedoch fragwürdig. Unabhängig vom erweiterten Umfang fielen vor allem Traditionen in den Blick. Zudem wäre für Weitergaben unter Menschen eventuell eine Popularität des jeweils Weitergegebenen förderlich. Man beschäftigte sich, soweit man sich auf menschliche Tiere und ihre Erzeugnisse beschränken würde, primär historisch oder sozialwissenschaftlich. Die sogenannte Kulturwissenschaft wäre lediglich ein sozial- bzw. geschichtswissenschaftlicher Zweig. Mein Anliegen war, zu erläutern, wie und warum eine Frage nach Bezügen wissenschaftlich und philosophisch von Relevanz sein kann, nicht Worte ‚Kultur‘ und ihre Historie zu thematisieren, und dass ein bürokratischer Formalismus bei Analysen von Bezügen nicht hilft.

Die gelehrten essayistischen Normen dienen dazu, Objektivität einzufordern. Soweit es sich um sprachbezogene Ideale handelt, denen man sich der Konzeption nach annähern könnte, wären sie als unwissenschaftlich zu verwerfen. Ideale haben in platonischer Tradition einmal die Metaphysik bereichert, konzeptionell wären sie immer noch etwas völlig anderes als zeitgenössische wissenschaftliche oder philosophische Texte. Eventuell beruhigen Ideale ein Bedürfnis, ob ein bürokratisches oder ästhetisches, mir würde es in Bezug auf Texte bereits ausreichen, erfahren zu können, worüber gesprochen wird. Um dies zu ermöglichen, ist kein Ideal erforderlich, lediglich eine sprachlich rudimentäre aber besondere Funktion zu beachten: mittels möglicher Bezüge über etwas zu sprechen oder zu schreiben.
Etwas anderes als Ideale wären Kriterien. Diese ließen sich zumindest umgangssprachlich erfüllen. Zwei für mich sprachlich relevante Kriterien habe ich bereits angeführt: logische Widerspruchsfreiheit und ein möglicher sprachlicher Bezug. Viel mehr brauche ich nicht.
Logische Kohärenz dient u.a. einem möglichen Bezug. Werden z.B. fünf oder acht unterschiedliche Worte ‚Kultur‘ in einem Text genutzt, ohne hinreichend zu differenzieren, was derzeit gesellschaftlich gar nicht schwer fallen muss, kann ungewiss bleiben, worüber gesprochen wird. Und würde eine hinreichende Abgrenzung fehlen, sogar dann, wenn man die Worte durchnummerieren würde, blieben Bezüge weiterhin unklar.
Es gäbe ein einfaches Mittel, dem entgegenzuwirken: Bedeutungen nicht nach irgendwelchen formalen Hinsichten auszubilden, sondern als Erläuterungen von Bezügen, soweit Bezüge in Betracht kommen. Ob ein Textabschnitt einen Sachverhalt trifft, wäre jedoch nur möglich, weil Bezüge zu beurteilen sind, nicht einfach vorliegen. Auch eine große Anzahl von bereits erfolgten Einschätzen oder Prüfungen würde daran nichts ändern können, es sei denn, man befürwortete als Maßgabe eine soziale Popularität. 
Eine Frage nach den Bezügen des Satzes ‚Der Kot ist braun‘ erschöpft sich in der Regel nicht in der Angabe der kausalen Bedingung, wenn der Kot braun ist. Ein platzierter Kothaufen könnte z.B. ein Scherzartikel auf dem Tisch eines universitären Dozenten sein. Ebenso wäre zumindest zu klären, ob es sich bei dem Kot um Kot handelt. Der Satz wäre zu erweitern zu ‚Der Kot, vorausgesetzt es handelt sich um Kot, ist braun‘. Doch auch diese Erweiterung würde nicht ausreichen, um beurteilen zu können, was als ‚braun‘ beschreibar ist. Ein Farbspektrum wäre anzugeben. ‚Der Kot, vorausgesetzt es handelt sich um Kot, ist braun, vorausgesetzt die Farbe liegt im Farbspektrum XY‘. Ein messbares Farbspektrum könnte aber von Ort zu Ort variieren, je nach Lichteinfall, ebenso nach der Zeit der Begutachtung; Kot ist ein organisches Produkt, das einer zeitlichen Veränderung unterliegt. Es wären zahlreiche Bedingungen anführbar, die zur Beurteilung eines konkreten Bezugs relevant wären, sich philosophisch aber kaum prüfen ließen, allenfalls in einem wissenschaftlichen Labor, das selber Bedingungen bereithält und auch Bedingungen unterliegt. Ohne Daten, beim Verfassen eines philosophischen Essays liegen zumeist keine vor, es sei denn, man beschäftigte sich mit älteren wissenschaftlichen Forschungen, noch ließe sich eine Datenbeschaffung veranlassen, kann lediglich ein möglicher Bezug in Frage kommen, diesmal aus der Sicht eines möglichen Verfassers. Und ein sekundärer philosophischer Beitrag unterläge sogar der zweifachen Interpretation. Zitate reichten für die Gewährleistung eine Bezugnahme nicht aus. Ob über diese auch gesprochen wird, wäre eine völlig andere Frage, die von einer Interpretation der zuvor gegebenen Interpretation abhinge. Mehr als ein möglicher Bezug ließe sich auch in diesem Fall nicht veranschlagen.

Um Kriterien nicht nur bildhaft, in Form von möglichen Erfüllungen relevant werden zu lassen, ist es erforderlich, eine andere sprachliche Lösung zu finden, die der Sache angemessen sein könnte. Kriterien dienen in der Regel als Maß für eine Ausrichtung als auch Beurteilung. Eine logische Vereinbarkeit ließe sich mit Bezug auf Texte tatsächlich prüfen, ein Bezug der philosophischen Texte hingegen nur in beschränkter Weise. Die Gründe habe ich dafür bereits angeführt. Beurteilen ließe sich nur ein möglicher Bezug.
Doch eine Beurteilung der logischen Kohärenz eines Textes hat Voraussetzungen, die gar nicht stets gegeben sind. Um philosophieren zu können, sind Kenntnisse von Logik nicht stets erforderlich. Die Vorwürfe ‚Literatur‘, wie sie besonders in übersetzten Texten von analytisch ausgerichteten Philosophen gegenbenüber Vertretern anderer Richtungen geäußert wurden, ob gegenüber deutschen oder französischen Philosophen, fanden in diesem Umstand einen ungeeigneten Anlass. Nicht einmal ‚Fiction‘ wäre als Vorwurf angemessen gewesen, denn nicht nur ist ‚Literatur‘ ein Wort, das, wie erläutert wurde, auch wissenschaftliche und philosophische Texte umfasst, es ist auch aus analytischer Sicht möglich, sich auf Fiktionales, auf empirisch oder logisch Mögliches zu beziehen. Sogar in der Physik spielt es eine nicht unrelevante Rolle: die Annahme einer sogenannten dunklen Materie (dark matter) bietet nicht mehr als eine logische Möglichkeit; alternativ wäre das physikalische Standardmodell anzupassen.
Inzwischen ist in der akademisch betriebenen Philosophie eine Aversion gegen alles entstanden, was auch nur entfernt außerwissenschaftliche ‚Literatur‘ assoziieren ließe. Die unzitierbaren Leitfäden können einen Eindruck der zeitgenössischen Scholastik vermitteln, deren Fundamente in einer beherzt angegangenen Bürokratie und jener älteren Polemik liegen könnten, die beide relativ sachfremd geblieben sind.

Die Forschungsgemeinde ist alles andere als homogen. Bestenfalls ließen sich Gruppen unterschiedlicher Größe ausmachen, die mit unterscheidbaren Methoden und Kriterien arbeiten, auch sprachlich different vorgehen. Soziale Faktoren zu berücksichtigen, wäre aussichtslos, allenfalls innerhalb von Gruppierungen hilfreich, wie in jedem anderen Job auch. Doch die Konzeptionierung einer beliebigen Standesordnung interessiert mich nicht.
Die hervorgehobene Heterogenität betrifft nicht nur relativ grundlegende Ausrichtungen. Auch innerhalb der jeweiligen Forschungsrichtungen wird unterschiedlich vorgegangen. Ich z.B. verwarf aus sprachlichen Gründen Worte ‚Wahrheit‘, weil sie meines Erachtens nichts Relevantes beitragen können (vgl. Pege, K., 2015 (eBook)). Innerhalb der Forschung bezogen sie sich, wie Puntel im Kontext von modernen Wahrheitstheorien erläuterte (vgl. Puntel, L.B., 1978), entweder auf Bezüge oder auf logische Kohärenz. Da ich mich nicht entscheiden wollte und konnte, Puntel gab logischer Kohärenz den Vorzug, eines der für mich grundlegenden Kriterien zu präferieren, beließ ich es bei den Kriterien und entledigte mich der Wahrheit, die mir überflüssig erschien. ‚Wahrheit‘, so lässt sich vermuten, ist überhaupt kein wissenschaftliches oder philosophisches Wort, lediglich eine umgangssprachliche Verlautung.
Sprachlich für einen Essay relevant wäre aber eine Frage nach Angemessenheit, und weil eine soziale nicht in Betracht kommen kann, somit keine kommunikative, bliebe nur eine sprachliche übrig. Mit dieser Differenzierung, die Sprache, ihre innere Struktur und möglichen Bezüge ins Zentrum rückt, entfällt die alte Unterteilung in ‚subjektiv‘ und ‚objektiv‘. Sie ist unerheblich. Anhand des Beispiels ‚Wahrheit‘ lässt sich eine Frage nach Angemessenheit erläutern: Konkrete sprachliche Kriterien zu haben, die sich mit dem lautlichen Monismus nicht vereinbaren lassen, ist der zentrale logische Grund, ein weiterer betrifft den Bezug: Bliebe es unmöglich, zu erfahren, worüber Puntel geschrieben hat, ließen sich keine möglichen Bezüge ermitteln, wäre die logische Kohärenz seines Textes nicht beurteilbar. Sein eigenes Wahrheitskriterium wäre außer Kraft gesetzt.
Ein anderes Beispiel lässt sich mit der Formulierung ‚dunkle Materie‘ (dark matter) anführen, einem prosaischen Bild. Die beschriebene Dunkelheit bezieht sich nicht auf eine Eigenschaft der Materie, sondern auf die mangelnde Erkennbarkeit. Ohne eine Projektion hätte es vermutlich nicht zu diesem Ausdruck kommen können. Es ist unsicher, ob es die Materie überhaupt gibt. Aber die Annahme ihrer Existenz hilft, das beobachtbare Universum zu erläutern, ohne das Standardmodell ändern zu müssen. Soviel Fantasie traut man Naturwissenschaftlern i.d.R. gar nicht zu. Leider wird nicht selten unterschlagen, dass es sich bloß um eine logisch mögliche Existenz handelt, von was auch immer, nicht mehr. Ebenso ließe sich von einer Krise der Physik sprechen, die seit den Dreißiger Jahren des 20. Jhds. andauert, weil das Standardmodell die erlangten Daten nicht erläutern kann.
Ein drittes Beispiel ließe sich mit ‚Kultur‘ anführen, nach meiner Ansicht reicht das zuvor Geäußerte jedoch im vorliegenden Kontext aus. Auch möchte ich nicht in eine umfänglicher zu gestaltende Diskussion über die jeweiligen Sachbereiche abgleiten. Ich habe das Schreiben von Essays thematisiert, nicht eine zu verfassende Enzyklopädie über die Merkwürdigkeiten in der Forschung. 

Handlungsanweisungen, Normen zu geben, wie dies in der bürokratischen Scholastik üblich geworden ist, ohne sie wissenschaftlich oder philosophisch zu thematisieren, untergräbt den akademischen Tätigkeitsbereich, wäre typisch für Berufsausbildungen. Doch Weiterentwicklungen und Neues, soweit man diesen eine wissenschaftliche und eine philosophische Relevanz gibt, kommen ohne eingeräumte Autonomie nicht aus. Deshalb könnte eine zu erlangende Autonomie, menschlich als auch in Hinblick auf ein Verfassen von Essays, kaum genug Gewicht beigemessen werden. Eventuell ist die gegebene Perspektive nicht bolognakonform, aber es handelt sich um die einzige, die ich unter Berücksichtigung der angesprochen Tätigkeiten und ohne einer etwaigen Folter zu erliegen äußern kann.


Literatur:

Pege, K., 2015 (eBook), Eine Theorie des selektiven Bezugs, Duisburg.
Puntel, L.B., 1978, Wahrheitstheorien in der Neueren Philosophie, Darmstadt.