Weil
man Menschen nicht einfach in den Kopf schauen kann, um zu erfahren,
über was sie reden, auch
die von Quine beanspruchten Reizbedeutungen sind allgemein nicht
zugänglich, ist man als Zuhörer oder Leser auf sprachliche
Erläuterungen angewiesen. Solche Erläuterungen können sehr
unterschiedlich ausfallen, so dass unter Umständen offen bleiben
kann, ob über etwas gesprochen wird, nicht nur z.B. menschliche
Erregung zum Ausdruck gelangt.
Ansprüche,
bezugnehmende Erläuterungen darüber zu geben, von wo welche Gefahr
droht, ob und wo es Wasser gibt oder was man wieder angestellt habe,
gehörten vermutlich schon zum steinzeitlichen Alltag. Und der Satz,
„Sag die Wahrheit! “, ist wahrscheinlich noch heute Bestandteil
von
Kindheitserfahrungen.
Der umgangssprachliche Wahrheitsanspruch steht gemeinhin der Lüge
gegenüber, bei der man erwischt werden kann und die in der Regel
sanktioniert wird, ob mit einer wütenden Drohgebärde, mit einem
strengen Verweis aufs Kinderzimmer oder mit einer überfallhaften
Dresche. ‚Wahrheit‘ und ‚Lüge‘ sind in diesem Kontext
praktisch eingebunden, und um die praktische Relevanz noch zu
erhöhen, möglich wäre als Reaktion auf eine kindliche Erläuterung
auch ein spontanes Schmunzeln, weil z.B. Wahrheit und Lüge eine
erstaunliche Melange eingegangen sind.
Die
Herkunft von Worten ‚Wahrheit‘ und ‚Lüge‘ aus der Praxis ist
auch in der philosophischen Literatur zu finden, besonders innerhalb
von ethisch ausgerichteten Werken. Über Wahrhaftigkeit als Tugend
bzw. Haltung wird seit Aristoteles (vgl. Bien, Günther (Hg.), 1985,
1127a-1128a, S.94-96 – viertes Buch, Kap. 13) diskutiert, gar nicht
selten in rigoroser Manier, unabhängig von möglicherweise
relevanten Bedingungen und Umständen. In der Nikomachschen Ethik ist
zu lesen: „Nun ist die Lüge an sich schlecht und tadelnswert und
die Wahrheit gut und lobenswert.“ (Vgl. ebd., 1127a, S.95.) Mit
einer Liebe zur Weisheit, gemäß der Übertragung von altgriechisch
‚φιλοσοφία‘,
aus der eine Berücksichtigung von Bedingungen und Umständen
erwachsen könnte, hat eine solche Rohrstock-Ethik nichts gemein.
Generell ließe sich ein normativer Anspruch leicht in Frage stellen,
bereits mit der einfachen, kindlich anmutenden Frage: Warum? Aus
praktischer Sicht sind doch nicht beliebige allgemeine Normen
interessant, sondern Handlungssituationen, -resultate und mögliche
kausale Folgen. Kamlah hat die alte ethische Suche nach griffigen
Normen um die Frage, wie gelebt werden kann (vgl. Kamlah, Wilhelm,
1984, S.145), ergänzt. Diese Ergänzung könnte man auch als eine
alternative Ausrichtung betrachten, die Menschen nicht den Weg in
eine Mündigkeit bzw. Autonomie versperren würde, ethisch als
auch praktisch letztlich angemessener wäre.
Im
Unterschied zu praktischen Situationen, in denen Wahrhaftigkeit
durchaus zum Tode vieler Menschen beitragen könnte, z.B. durch
Verrat in einer Kriegsgefangenschaft, Ironie und Übertreibung
künstlerische Mittel sein können, um etwas hervorzuheben, sind
Philosophie und Wissenschaften in der Regel auf Wahrheit
ausgerichtet. Um was es sich dabei handelt, wird jedoch
unterschiedlich beantwortet.
Speziell
Aristoteles’ Fassung wird häufig in den Kontext von
Korrespondenztheorien gestellt, in denen eine Übereinstimmung mit
der Wirklichkeit / Realität entscheidend ist. Aristoteles äußert
sich jedoch viel spezifischer: Wahr ist, nach Aristoteles, wenn
Behauptetes zutrifft. („Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht,
oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende
sei und das Nicht-Seiende sei nicht, ist wahr.“ (Vgl. Seidel, Horst
(Bearb.), 1982, 1011b, S.171). Ebenso ließe sich anführen, dass
Urteile ‚wahr‘ und ‚falsch‘ auch logische Vereinbarkeiten
bzw. Unvereinbarkeiten betreffen können (vgl. ebd.). In diesem
Kontext ließe sich von einem Kohärenzansatz sprechen. Eine
systematische Differenzierung liegt bei Aristoteles nicht vor.
Wahrheitstheorien des 20. Jahrhunderts hatte man im alten
Griechenland nicht ausgebildet.
Hier
ist nicht der Raum, um ausführlich über verschiedene
Wahrheitstheorien (vgl. z.B. Puntel, L. Bruno, 1978) bzw.
-definitionen zu sprechen, aber bereits die Tatsache, dass ‚Wahrheit‘
mit Verschiedenem erläutert und identifiziert wird, könnte die
Frage aufkommen lassen, wofür solche metasprachlichen
Wahrheitsbegriffe bzw. -worte erforderlich sind. Egal ob sprachlicher
Bezug im Zentrum steht, logische Vereinbarkeit, also Richtigkeit,
oder ein Konsens unter Experten, all dies lässt sich sachlich
angemessen erläutern und diskutieren, ohne ‚Wahrheit‘ bemühen
zu müssen. Ob eine Entscheidung für eine der Ausrichtungen
grundsätzlich angemessen wäre, fällt in diesem Rahmen kaum auf.
Mir liegt sowohl an Bezügen als auch innertheoretischen
Vereinbarkeiten viel, um auf einen zu erlangenden Konsens unter
ohnehin divergierenden Experten zu hoffen, fehlt mir hingegen der
erforderliche Glaube.
Weil
besonders in der Philosophie die Frage nach sprachlichen Bezügen
keine einfache ist, nicht nur da
fraglich werden könnte, was Philosophie mit Wirklichkeit / Realität
zu tun habe, sondern auch, wie ich auf ‚sprachliche Bezüge‘
komme, beziehe ich Tarskis semantische Wahrheitsdefinition
ein, die besonders innerhalb der analytischen Philosophie und im
kritischen Rationalismus eine wichtige Rolle eingenommen hat.
Zunächst muss hervorgehoben werden, dass Tarski eine Definition für
formalisierte Sprachen endlicher Ordnung entwickelte, in Abgrenzung
zu Umgangssprachen (vgl. Tarski, Alfred, 1935, S.537-538). Um als
formalisierte Sprache gelten zu können, wäre meine fachspezifische
aber essayistische
Vorgehensweise vermutlich ungeeignet. Tarskis Ansprüche sind an den
Zeichensprachen von Logik und Mathematik ausgerichtet (vgl. ebd.,
S.458-459),
die für mein Vorhaben schlicht ungeeignet wären, auch falls mir
dadurch eine Präzision fehlen würde, die zu erreichen Tarskis
erläutertes Anliegen ist (vgl. ebd., S.448).
Auch
die Möglichkeit, ein Lügnerparadox ausbilden zu können,
beschäftigte ihn (vgl. ebd., S.447). Die Behauptung, der aktuell
geäußerte Satz sei falsch, lässt einen (Selbst-)Bezug erkennen,
der die Äußerung in Frage stellt. Berücksichtigte man, dass sich
Logik und Mathematik ohnehin nicht beziehen – vordergründig
ließe sich annehmen, allenfalls durch
Konstanten
und Variablen,
sobald
Bezüge
auf Empirie definiert
seien
-, wäre
die Möglichkeit, sprachlich ein Lügnerparadox ausbilden zu können,
eine besondere Qualität der Sprache. Das Paradox ließe sich als ein
Beispiel verwenden, wie Bezüge gebildet werden, wäre auf den ersten
Blick ebenso ein Beispiel für sprachliche Unangemessenheit, ließe
sich durch ein Kriterium ‚sprachliche Angemessenheit‘ im Hinblick
auf Bedeutungen und Bezüge durchaus vermeiden, sähe man von
Situationen wie Comedy ab, in denen durch das Paradox ein Spaß, wenn
auch kein origineller, entstehen könnte. Dazu ein weiteres, ein
erläuterndes Beispiel: Einen Akteur mit dem Satz, „Alles was ich
sage, ist falsch! “, die Bühne betreten zu lassen, könnte ein
langgezogenes „Oh! “ als Antwort bzw. Kommentar folgen lassen, in
diesem Zusammenhang wäre nicht die Logik relevant, sondern
möglicherweise
Erfahrungen, fortlaufend auf Widerstand zu stoßen. ‚Alles‘ wäre
Ausdruck dieser vielfach gemachten Erfahrungen, bezöge sich in
diesem Fall nicht auch auf diesen Satz, es sei denn, ein Selbstbezug
würde am Ende der Szene als Pointe erkennbar werden.
Solche
sprachlichen Differenzierungen und Preziosen, auch wenn sie heute
kaum originelle wären, sind logisch und mathematisch gar nicht
bildbar, solange u.a. an einer einfachen Zweiwertigkeit (wahr /
falsch) festgehalten wird, und man würde mit Ansprüchen, die aus
einer Beschäftigung mit Logik und Mathematik erwachsen sind, Sprache
unangemessen behandeln. Tarski bemängelt eine sprachliche Tendenz
zum Universalismus (vgl. ebd.), vermutlich, unter Berücksichtigung
des Kontextes, sich sprachlich beliebig beziehen zu können. Dagegen
hebt er im Kontext einer formal vollständig beschreibbaren Sprache
der Logik ihren universalen Charakter hervor, aufgrund ihrer Relevanz
für deduktive Systeme (vgl. ebd., S.501).
Tarskis
bekundetes Interesse richtet sich auf die Konstruktion einer
Definition von ‚wahre Aussage‘ (vgl. ebd., S.494). Um eine
Definition konstruieren zu können, ist zunächst eine Metasprache
(„Metawissenschaft“) einzurichten, die drei Gruppen von Aussagen
(bzw. Axiomen) enthält: allgemein logische, Definitionsausdrücke
und deskriptive Axiome (vgl. ebd., S.494-495). Ich möchte den
gesamten Konstruktionsaufwand aber nicht erläutern, sondern mich den
ersten Ergebnissen zuwenden. Zentrales metasprachliches Mittel für
die Definition ist: „Erfülltsein einer Aussagefunktion durch eine
Folge von Gegenständen“ (vgl. ebd., S.478, 497). Die Begriffe bzw.
Worte ‚Erfülltseins‘, oder
schlichter ‚Erfüllung‘, werfen erste Fragen auf.
Umgangssprachlich können Menschen von Liebe erfüllt sein,
Bedingungen, Träume und Wünsche sind eventuell erfüllbar, auch
Abfüllungen wären möglich, z.B. mit Bier, in all diesen Fällen,
vielleicht mir Ausnahme von geäußerten Wünschen, spielt aber
Sprache keine erkennbare Rolle. Die
Erfüllung einer Aussagefunktion würde sich markant von jenen Fällen
abheben, ließe sich vielleicht am ehesten mit einer geäußerten
Wunscherfüllung vergleichen.
Als
Erläuterung gibt Tarski lediglich einige Schemata, zwischen denen zu
lesen ist, dass „Schnee die Aussagefunktion „x ist weiß“
erfüllt“ (vgl. ebd., S.478). Der formale Eifer kommt erstaunlich
schnell zu einem Stillstand, indem lediglich auf mathematisch
logische Konventionen zurückgegriffen wird, ohne zu erwägen, ob
‚Erfüllung‘ überhaupt sprachlich angemessen ist. Im Unterschied
zu einem geäußerten Wunsch, der sich auf etwas Bestimmtes richtet,
ob auf Konkretes (ein Glas Bier), auf Allgemeines (ein friedvolles
Zusammenleben der Menschen) oder auf Konkret-Abstraktes (eine Lösung
für eine logische Aufgabe) und einer möglichen Befriedigung, bietet
jene Aussagefunktion ‚x ist weiß‘ eine Variable, die sich
allenfalls sprachlich füllen ließe, z.B. durch ein Wort ‚Bier‘.
Eine bloße Füllung würde jedoch nicht ausreichen, die
Aussagefunktion enthält auch eine beschriebene Bedingung: ‚ist
weiß‘. Diese Bedingung grenzt die möglichen Bezüge der
einsetzbaren Worte ein. ‚Erfüllung‘ wäre auf Worte gerichtet,
deren Sachen, auf die durch jene Bezug genommen wird, sich mit der
formulierten Bedingung beschreiben lassen.
Die
Metapher ist sprachlich durchaus erläuterbar, setzt in der gegebenen
Version aber sehr, sehr viel voraus: sieht man von dem sonderbaren
Bau der Metapher ab, zentral die Formulierungen ‚sprachlicher
Bezug‘ und ‚empirische Bedingung‘. Falls aber Schnee die
Aussagefunktion erfüllen könnte, nicht Worte mit relevantem Bezug,
wäre hervorzuheben, dass sich Schnee nicht in die Funktion einsetzen
ließe. Es läge, würde man dies für möglich halten, eine
Verwechslung von Wort und Sache vor. Demgegenüber könnte eine Sache
aber einen sprachlich geäußerten Wunsch erfüllen, diesen
befriedigen.
Um
mit der Definition voranzukommen, bildet Tarski einige Jahre später
eine ‚Äquivalenzform T‘ (Truth) aus: x ist wahr genau dann, wenn
p, wobei ‚x‘ einen einen Satz enthält, der ‚p‘ beschreibt
(sein Name sei). (Vgl. Tarski, Alfred, 1944, S.59.) Entstanden ist
diese Form aus der beispielhaften Aussage: ‚Schnee ist weiß‘ ist
wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist. Und erneut greift Tarski ein
Wort ‚Erfüllung‘ auf, erläutert es diesmal explizit als
„Beziehung zwischen beliebigen Gegenständen und bestimmten
Ausdrücken, genannt Aussagefunktionen“ (vgl. ebd., S.71). Eine
solche Aussagefunktion ist z.B. ‚x ist weiß‘.
In
diesem Fall beträfe Erfüllung, soweit ich dies erkennen kann, nicht
eine Einsetzbarkeit in die Funktion, sondern all das, worauf sich die
Funktion insgesamt beziehen kann, also auf Sachen bzw. Sachverhalte,
vergleichbar mit einer konkreten Wunschäußerung. Da weiterhin auch
‚x ist weiß‘ zu füllen wäre, eine solche bedingungsrelevante
(Er)füllung nur durch Sprache möglich wäre, hätte man innerhalb
eines Gesamtüberblicks zwei verschiedene Erfüllungsbegriffe. Der
von Tarski explizierte Erfüllungsbegriff, der fundamentaler als
‚Wahrheit‘ sei (vgl. ebd.) berücksichtigt die Äquivalenzform,
aber in einer unangemessenen Weise: Die Aussagefunktion ‚x‘ steht
in T einer empirischen Bedingungsbeschreibung ‚p‘ gegenüber, die
nur wahr bzw. erfüllbar wäre, wenn ‚x‘ das ‚p‘ beschreibt
(Name von ‚p‘ ist). Die Bedingungsbeschreibung ist jedoch keine
nichtsprachliche Sache, sondern Sprachliches. Tarski vergleicht aber
Beschreibung (‚x‘) mit Empirie (‚p‘), genau dies ist
innerhalb der Form logisch nicht möglich! Vergleichbar wären
lediglich Aussagefunktion und Bedingungsbeschreibung. Wenn ‚p‘
als Sprachliches relevant wäre, würde T erst funktionieren können,
sobald nach einer Umformulierung eine Austauschbarkeit der Sätze
oder eine Tautologie herauskäme.
Die
Äquivalenzform T behandelt keine logische Äquivalenz von Sätzen,
sondern eine kausale Wenn-Dann-Relation: Wenn ‚p‘, dann ist ‚x‘
wahr, bzw., um die kausale Relation präziser zu fassen, wenn ‚p‘,
dann lässt sich ‚x‘ als wahr beurteilen. Konkret: wenn Schnee
weiß ist, dann ist ‚Schnee ist weiß‘ wahr, bzw., wenn Schnee
weiß ist, dann lässt sich ‚Schnee ist weiß‘ als wahr
beurteilen. ‚Wahrheit‘ reduziert sich auf einen zu beurteilenden
Bezug. Ein solches Ergebnis hätte man sehr viel einfacher haben
können.
Wenn
im Kontext einer semantischen Wahrheitsdefinition lediglich die Frage
nach vorliegenden oder nicht vorliegenden sprachlichen Bezügen
relevant ist, dann kann auf eine metasprachliche Marke wie ‚Wahrheit‘
leicht verzichtet werden. Auch ließe sich nach Bezugsumfängen
fragen, also viel differenzierter vorgehen als im Rahmen einer alten
und vor allem einschränkenden Zweiwertigkeit (wahr / falsch). Man
würde letztlich die Chance ergreifen können, Sprache angemessen zu
behandeln, auch und besonders fachlich. Es würde die Frage bleiben,
die auch für das vorliegende Kapitel von zentraler Relevanz war,
über was gesprochen wird.
Davidson
hat Tarskis Konzeption als Ausgang für natürliche Sprachen genutzt,
aber Modifikationen vorgenommen, die es erlauben, konkretere Bezüge
vorzunehmen. Er erweiterte im Rahmen seines Interpretationsansatzes
die Definition um Paramter wie Sprache und Zeit (vgl. Davidson,
Donald, 1994, S.40-67). Probleme mit Metaphern wie ‚Erfüllung‘
oder eine mögliche Redundanz von ‚Wahrheit‘ sah er nicht.