[Der Beitrag entstand für philosophie.ch.]
Wendet man sich als Philosoph an ein nicht-fachliches Publikum, gerät
man umgehend in Schwierigkeiten, auch dann, wenn über praktische Themen
gesprochen wird. Das Problem beginnt mit der Sprache. Setzt man Worte
bzw. Begriffe voraus, gleichgültig ob z.B. ‚Gerechtigkeit‘ oder
‚Kultur‘, kann man davon ausgehen, dass sie von Lesern umgangssprachlich
aufgefasst werden. Eine solche Interpretation, die zumeist spontan und
mangels zugänglicher Alternativen wie selbstverständlich erfolgt, birgt
jedoch Gefahren: umgangssprachliche Fassungen könnten philosophisch
völlig unerheblich sein. Sogar fachintern kann es zu Missverständnissen
kommen: die Bandbreite an Differenzen ist schier unermesslich, sogar im
Hinblick auf eine konkrete Relevanz von Sprache.
Fragt man, warum Sprache philosophisch, aber auch wissenschaftlich
zentral sein kann, lassen sich sprachliche Bezüge angeben: erst durch
zuerkannte Bezüge wird deutlich, worüber überhaupt gesprochen wird,
Hypothesen formuliert, Theorien entwickelt werden. Über dieses Problem
täuscht die Umgangssprache und ihre selbstverständliche Nutzung hinweg.
Im Alltag ließe sich hingegen auf die Umgangssprache nicht verzichten,
auch nicht von einem Philosophen. Ein Streit zwischen einem Philosophen
und einer Kassiererin darüber, was ausgesucht wurde, wäre wenig
hilfreich, könnte sogar zu Ausschreitungen wartender Kunden führen. In
der Philosophie ist die Sachlage eine andere. In einem Geschäft liegt
die Ware, der Gegenstand vor, der relevant ist. Es ist eindeutig, worum
es geht, gleichgültig wie man sprachlich interpretiert. Doch worüber
jemand spricht, wenn nichts als Formulierungen vorliegen, kann
zweifelhaft sein und bleiben.
Bezüge können in Konkurrenz zu sprachlichen Bedeutungen geraten, wenn
sie nicht als Erläuterungen von Bezügen dienen. Sogar Definitionen sind
keineswegs stets tauglich, klären zu helfen, ob überhaupt über etwas
gesprochen wird. Dennoch wäre man nicht darauf angewiesen, sich auf
einen Empirismus zu beschränken: Bezüge lassen sich nicht nur auf
Empirisches, auch auf empirisch Mögliches oder logisch Mögliches
zuerkennen. Eine Science Fiction, die auf narrative Züge verzichtet,
wäre, um ein Beispiel anzuführen, nicht ausgeschlossen.
Hier behandeln möchte ich jedoch einen anderen Fall: Worte ‚Kultur‘.
Ich spreche von Worten, weil es sehr viele davon gibt, mit
unterschiedlichen Bedeutungen und Bezügen, zumindest mit thesenhaften.
Nicht nur ist die Historie seit den alten Lateinern mit Worten Kultur
angefüllt, auch dort, wo das Latein zumindest oberflächlich weiter
gepflegt wurde. Inzwischen wird so gut wie alles, was gesellschaftlich
hervorgehoben werden soll, im deutschsprachigen Raum als Kultur
ausgeben. Speziell für die alten Lateiner waren ihre Äcker Kultur, und
diese erforderten ein religiöses Handeln, damit die angebauten Pflanzen
gedeihen konnten. Metaphorisch bezog man sich seit Cicero auch auf einen
besonderen Bildungsumfang der Eliten. Aus dem alten Griechenland ist
hingegen keine Kultur übermittelt, auch kein Wort, das dem lateinischen
ähnlich wäre. Um den alten Griechen Kultur zuschreiben zu können, wäre
zu projezieren, doch warum sollte man so etwas tun? Bereits der einfach
historische Vergleich kann in Frage stellen, ob es eine Sache Kultur
gibt, nicht lediglich regional geprägte Worte – und seit einigen
Jahrhunderten viel Geplapper, fachlich als auch umgangssprachlich.
Da es mir im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich ist, Worte ‚Kultur‘
historisch zu behandeln, besonders Samuel Pufendorfs Fassung, die im
Kontext von Hobbes’ Naturrechtslehre und unter dem Eindruck des
30jährigen Krieges entstand, wäre als eine entscheidende historische
Veränderung zu erörtern, möchte ich mich auf die aktuelle Umgangssprache
richten: Kultur steht, wie der redaktionell betreute DUDEN erörtert,
als von Menschen Gemachtes einer (mehr oder weniger unberührten) Natur
gegenüber. Eine solche Gegenüberstellung von Kultur und Natur ist aus
logischer Sicht jedoch nicht möglich. Kultur hätte, wenn sie nicht
natürlich wäre, etwas Metaphysisches zu sein, was durchaus nicht haltbar
wäre. Umgangssprachlich misslingt nicht nur ein Bezug auf Kultur,
sondern auch auf Natur. Eine zentrale Grundlage unserer Zivilisation
gerät aus sprachlichen Gründen in Zweifel.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen